Wer darf Intelligenztests durchführen?

Wer darf Intelligenztests durchführen?

Diese Frage wird uns besonders häufig gestellt: Welchen Beruf muss man haben, um Intelligenztests anwenden, auswerten und die Ergebnisse interpretieren zu dürfen? Sind nur Psychologen dazu befugt? Oder darf das jeder? Die Antwort liegt auf der Hand, dennoch muss etwas weiter ausgeholt werden.

Wer darf IQ-Tests durchführen? Ein rechtlicher und fachlicher Überblick

Die Durchführung von Intelligenzdiagnostik ist mit Ausnahme des Stellens der medizinischen Diagnose „Intelligenzminderung“ (F70 bis F79 der ICD-10) rechtlich nicht geregelt. Damit darf rein rechtlich gesehen jeder Intelligenztests durchführen.

Aus fachlicher Sicht sollten selbstverständlich nur diejenigen Intelligenztests anwenden, auswerten und interpretieren, die wissen, wie es geht. Bei z.B. Psychologen kann das vorausgesetzt werden, weil Testdiagnostik Teil des Psychologiestudiums ist. Deshalb wird diese Berufsgruppe hinsichtlich IQ-Tests gemeinhin für ausreichend qualifiziert gehalten.

Die Nutzung von Intelligenztests gehört jedoch auch zu den Aufgaben anderer Fachpersonen, z.B. Psychiater, Sonderpädagogen und Förderschullehrer. Es stimmt also nicht, dass „nur Psychologen“ testen dürfen. Dennoch hält sich das Gerücht hartnäckig. Es wird aber nicht wahrer, je häufiger man es wiederholt.

Die Risiken fehlerhafter IQ-Testergebnisse: Von Erfolg bis Versagen

Stellen Sie sich vor, jemand testet Ihren Intelligenzquotienten (IQ) und macht dabei bei der Durchführung, der Auswertung und/oder der Interpretation Fehler. Vielleicht wird es Ihnen schmeicheln, wenn dadurch ein unzutreffend hoher IQ herauskommt, der mit Ihrem tatsächlichen intellektuellen Leistungsvermögen wenig zu tun hat.

Eventuell werden Sie sich infolge des falsch zu hoch bescheinigten IQ für begabt halten, mehr Potenzial bei sich sehen und sich höhere Ziele stecken. Das kann dann tatsächlich zu mehr Ehrgeiz und letztendlich Erfolg führen. In diesem Fall hätte der IQ-Test Gutes bewirkt.

Nun stellen Sie sich aber einen Schüler mit Lern- und Leistungsschwächen vor. Seine Lerntherapeutin schlägt einen Intelligenztest vor und die Eltern willigen ein. Die Lerntherapeutin hat den Test WISC-V und das dazugehörige Handbuch zur Durchführung und Auswertung. Dennoch bringt sie etwas durcheinander, was zu falschen Ergebnissen führt. Der bescheinigte Gesamt-IQ von nur 71 lässt die Eltern am Sinn der Lerntherapie zweifeln und die Lehrerin rät nun zur Förderschule. Noch schlimmer: Auch der Schüler bekommt zu Ohren, dass er angeblich unterdurchschnittlich begabt ist. Seiner Zuversicht beraubt, stellt er seine Bemühungen ein und fällt nun vollends in die Rolle des Schulversagers.

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Ethik und Verantwortung bei der Durchführung von IQ-Tests

Die Durchführung von Intelligenztests ist ein sensibles Thema, das nicht nur eine fundierte fachliche Qualifikation erfordert, sondern auch eine ethische Verantwortung mit sich bringt. Daher sollte die erste Frage nicht „Darf ich testen?“ sein, sondern vielmehr „Kann ich testen? Weiß ich sicher, wie es geht?“. Es ist unethisch, Intelligenztests anzubieten, wenn man keine korrekten Ergebnisse garantieren kann. Ein falsch bescheinigter IQ kann weitreichende Folgen für die getestete Person haben. Oft hängen schulische und berufliche Entscheidungen davon ab. Unzutreffende Testergebnisse können das Selbstbild ernsthaft beeinträchtigen, zu unpassenden Therapieansätzen führen oder sogar zu einer Stigmatisierung beitragen. Auch die emotionalen und psychologischen Auswirkungen müssen berücksichtigt werden. Wie wird das Kind bzw. der Jugendliche oder Erwachsene auf ein niedriges oder hohes IQ-Ergebnis reagieren? Welche Folgen könnte es für sein Selbstwertgefühl, sein soziales Umfeld oder seine zukünftigen Möglichkeiten haben?

Letztendlich ist die ethische Dimension der Intelligenzdiagnostik nicht zu unterschätzen. Sie erfordert mehr als nur das technische Wissen über die Durchführung des Tests. Erforderlich ist auch ein tieferes Verständnis der psychologischen, sozialen und kulturellen Aspekte, die in die Interpretation der Testergebnisse einfließen. Deshalb ist die entscheidende Frage: „Bin ich wirklich qualifiziert und vorbereitet, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen?“ Nur dann können wir sicherstellen, dass Intelligenztests wirklich dazu dienen, wofür sie ursprünglich entwickelt wurden – als Werkzeuge zur Förderung des individuellen Potenzials und nicht als Instrumente der Etikettierung.

Darüber hinaus sollte vor jeder Testung gut überlegt werden, ob ein Intelligenztest wirklich erforderlich ist. Die meisten Praxen für Lerntherapie kommen z.B. sehr gut ohne aus, da Lerntherapie eine hochindividuelle Förderung ist, die sich an Kinder und Jugendliche aller Intelligenzniveaus richtet. Hier steht die spezifische Lernschwäche und nicht der IQ im Vordergrund. Warum ein Intelligenztest auch bei lese- und rechtschreibschwachen Kindern oder Jugendlichen nicht unbedingt erforderlich ist, steht in unserem Blogbeitrag „Haben nur kluge Kinder eine „echte“ LRS / Legasthenie?“.

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