Es gibt einen neuen Erziehungsstil und der verheißt nichts Gutes. Das Schlimme daran: Er erfasst Eltern oft ganz unbemerkt. Auch ich war schon Rasenmähermama. Was ist das, warum schadet die Methode unseren Kindern auf lange Sicht und welche Wege führen aus der Erziehungsfalle?
Bedenkliche Steigerung: Helikoptern und Rasenmähen
Eltern, die ihre Kinder am liebsten die gesamte Grundschulzeit über bis in den Klassenraum begleiten würden und auch sonst wie ein Helikopter besorgt um ihren Nachwuchs kreisen, sind ein bekanntes Phänomen. An unserer Schule hängt ein Schild für die Unverbesserlichen: „Liebe Eltern! Ab hier schaffen wir das alleine“. Nun gibt es eine Steigerung dieser bedenklichen Erziehungsvariante. Doch bevor ich fortfahre und den Eindruck erwecke, mich über andere Mütter erheben zu wollen, möchte ich gestehen. Auch ich habe es schon getan! Ich habe meiner Tochter eine Hürde aus dem Weg gemäht. Sie hieß Facharbeit und sollte in nicht unerheblicher Weise in die Abiturnote einfließen. Als die Abgabefrist näher rückte, brachte ich mich in einer Form ein, die über Korrekturlesen hinausging. Warum ich das getan habe? Weil ich es konnte und das Projekt zu einem guten Abschluss bringen wollte. Und gut ist mindestens die Note 2.
Rasenmähen – eine Erziehungsmethode der Mütter
Eltern, die sich so oder ähnlich verhalten, werden in Dänemark Curling-Eltern genannt, weil sie ihren Kindern wie beim Eisstockschießen die Hindernisse aus dem Weg räumen. Das Phänomen ist weiblich, denn meist sind es die Mütter, die ihre Kinder beim Lernen unterstützen. Es sind gebildete Frauen mit Zeit, die zumindest phasenweise den Rasenmäher anlassen und ihren Kindern den steinigen Weg zum Ziel glätten. Das Kind soll ein Referat schreiben? Kein Problem: Mama sucht passende Quellen, strukturiert, schlägt Überschriften vor und hilft beim Formulieren. Oft hat sie dabei ein schlechtes Gewissen und redet sich ein, das Kind könne dies unmöglich allein schaffen. Es erhalte zu wenig Anleitung von der Lehrerin und dieser Umstand dürfe nicht zu einer schlechten Note führen. Tatsächlich hat Mama die Eins im Blick und den schmalen Grat zwischen Anleitung und Abnehmen längst überschritten.
Rasermähermütter treibt die Angst
Rasenmäherverhalten beschränkt sich nicht auf die Hausaufgaben, die Anfertigung von Referaten oder Facharbeiten. Es gibt tatsächlich Eltern, die mit dem Anwalt in der Schule erscheinen, weil sie mit einer Note unzufrieden sind oder das Kind keine Gymnasialempfehlung erhalten hat. Juristische Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Lehrern sind niemals gut, denn sie stören die Beziehung zwischen der Lehrerin und dem Kind. Doch genau diese Verbindung ist entscheidend dafür, dass Lernen Spaß macht und gelingt. Heutzutage haben Eltern viel größere Angst als früher, dass ihr Kind ohne Abitur keine gute Zukunft hat. Dabei bietet zum Beispiel das Handwerk viele spannende Berufe, in denen auch wegen des zunehmenden Fachkräftemangels erstaunlich gut verdient werden kann. Gut zu wissen: Der Meisterbrief beinhaltet eine Hochschulzugangsberechtigung.
Rasenmähereltern haben die besten Absichten. Sie tun alles, um ihre Kinder vor Enttäuschungen und Misserfolg zu schützen. Auch in soziale Begegnungen und daraus resultierende Konflikte wird eingegriffen. Ein Nachbarskind war schon oft zum Spielen da, feiert bald Geburtstag, aber Tochter Clara ist nicht eingeladen? Sicher klärt sich das, wenn Claras Mama das Mädchen anspricht oder mal mit ihrer Mutter telefoniert. Früher oder später wehren sich Kinder gegen derartige Aktionen. Es ist ihnen schlichtweg peinlich, wenn sich Mama in Freundschaften einmischt. Anders ist es jedoch im schulischen Bereich. Hier profitiert das Kind von der tatkräftigen Unterstützung seiner Mutter und den damit verbundenen guten Noten. Warum sollte es sich da von Mama abgrenzen, ihr Einhalt gebieten und unter Beweis stellen, dass es schon groß ist und durchaus willens und in der Lage, seine schulischen Angelegenheiten selbst zu organisieren?
Folgen des neuen Erziehungsstils
Die entscheidende Frage ist: Was lernen Kinder von Rasenmähereltern? Schlimmer: Was lernen sie nicht? Bei diesen Kindern lässt sich eine zunehmende Unselbstständigkeit beobachten, gestützt von der Gewissheit, dass Mama alle Termine im Blick hat, Probleme löst und im Idealfall proaktiv dafür sorgt, dass diese gar nicht erst entstehen. Ihnen mangelt es an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit, weil sie nicht lernen, Konflikte zu lösen und Hindernisse zu überwinden. Wer so erzogen wird, bleibt hilflos und wird es schwer haben, erwachsen zu werden und das eigene Leben zu meistern. Kann sich auch Ihr Kind darauf verlassen, dass Mama seine Schwierigkeiten niedermäht? Ein Ja auf diese Antwort wäre kein Grund zur Freude, denn echte Erfolgserlebnisse sind wichtig für die Psyche. Aber sie erfordern eigene Anstrengungen und das damit verbundene Risiko des Scheiterns. Kinder müssen die Erfahrung machen, dass sie an Herausforderungen wachsen. Wir müssen erleben, dass uns Rückschläge stark machen. Mit Zuversicht, Kreativität und Beharrlichkeit lässt sich jede Klippe umschiffen. Eltern können diese Schlüsselqualifikationen fördern, indem sie ihren Kindern Erfolg zutrauen und sich selbst zurücknehmen. Muten wir unseren Kindern auch mal eine schlechte Note zu, denn diese kann die Kraft eines Weckrufs haben: Nimm die Schule ernster! Entwickle mehr Fleiß! Gib dein Bestes! Wer zu wenig gibt, kann nicht die Eins erwarten. Diese logische Konsequenz dürfen wir unseren Kindern nicht vorenthalten.
Gründe für Rasenmäherverhalten und Lösungen
Warum werden Mütter zu Rasenmähermamas? Seien wir ehrlich: weil sich in manchen Klassen fast alle Mütter so verhalten, aber die wenigsten geben es zu. Dies erzeugt Druck auf die übrigen Eltern. Tims Mama hilft beim Referat, Cecilias Mama bei der Facharbeit und Bens Mama hat eigens dafür einen Nachhilfelehrer engagiert? Da ist das eigene Kind im Nachteil, wenn es eine eigene Leistung abliefert. Welche Lösungen gibt es? Ich empfehle Eltern mutig zu sein und das Problem offen anzusprechen, zum Beispiel beim Elternabend. Sie werden überrascht sein, wie viele Eltern diesen Nebenjob gern los wären. Gleichzeitig sollten wir ein authentisches Vorbild sein und den Umgang mit schwierigen Emotionen und Situationen vorleben, damit das Kind am Modell lernen kann. Das erfordert auch Arbeit an uns selbst. Was bedeuten Misserfolge für uns? Gespräche mit Freundinnen können helfen, das eigene Erziehungsverhalten in einem neuen Licht zu sehen.