Lesen Sie in diesem Blog-Beitrag, wie Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten lerntherapeutische Diagnostik und Therapie korrekt abrechnen.
In immer mehr Praxen für Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie gibt es lerntherapeutische Angebote in Form von lerntherapeutischer Diagnostik und Therapie bei Legasthenie (Lese-Rechtschreibschwäche) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche). Wer sich die Internetseiten niedergelassener Ergotherapeuten oder Logopäden anschaut, wird darunter wenige finden, die sich noch kein zweites Standbein im Bereich der Lerntherapie aufgebaut haben. Selbst manche Physiotherapeuten haben schon auf die Nachfrage reagiert und bieten Förderung bzw. Therapie bei Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen an. Wie aber rechnen Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten Lerntherapie ab? Geht das per Verordnung oder wer kommt sonst als Kostenträger in Frage?
Lerntherapie ist kein Heilmittel und daher nicht verordnungsfähig
Heilmittel sind ärztlich verordnete medizinische Dienstleistungen. Dazu gehören u.a. Maßnahmen der Ergotherapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie und der Physiotherapie. Viele Kinder, die schon im Kindergartenalter in ergotherapeutischer, logopädischer oder physiotherapeutischer Behandlung waren, haben später einen lerntherapeutischen Förderbedarf. Eltern gehen daher oft davon aus, dass auch diese schulrelevanten Förderungen nach entsprechender Verordnung durch einen Arzt Leistungen der Krankenkasse sind.
Gemäß der Heilmittelrichtlinie (Heilm-RL Seite 30, Anlage b) 4.) (Stand: Oktober 2015 – Bitte beachten Sie unseren Nachtrag.) können Maßnahmen bei Lese- und Rechtschreibschwäche und sonstigen isolierten Lernstörungen jedoch nicht verordnet werden. Darüber hinaus steht auf Seite 7 des Dokuments unter „Verordnungsausschlüsse“ das Folgende: „Weiterhin dürfen Heilmittel bei Kindern nicht verordnet werden, wenn an sich störungsbildspezifische pädagogische, heilpädagogische oder sonderpädagogische Maßnahmen zur Beeinflussung von Schädigungen geboten sind“. […] „Sind solche Maßnahmen nicht durchführbar, dürfen Heilmittel nicht an deren Stelle verordnet werden“. Das bedeutet, dass eine pädagogische Förderung auch nicht ausnahmsweise zu Lasten der Krankenkasse von einem Heilmittelerbringer erbracht werden kann, weil eine Verordnung in diesem Fall ausgeschlossen ist. Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten können dennoch Kinder mit Lerntherapiebedarf in der Therapie haben, denn oft benötigen diese Kinder zusätzlich Ergotherapie, Logopädie oder Physiotherapie.
Begleitende Heilmittel für Lerntherapiekinder
Viele Kinder mit Lerntherapiebedarf haben Schwierigkeiten beim Aufnehmen und Verarbeiten von Informationen. Diese Störungen in der Verarbeitung von Sinneseindrücken sind oft ursächlich für ausgeprägte Formen einer Lese- Rechtschreibschwäche oder Rechenschwäche. Stellt ein Arzt die Diagnose „Wahrnehmungsstörung“, so kann er auch einem Kind mit pädagogischem Förderbedarf z.B. Ergotherapie verordnen. In der Ergotherapie mit diesem Kind darf dann aber nur die Wahrnehmungsstörung behandelt werden und in keinem Fall ein Rechtschreib- oder Rechentraining erfolgen. Gleiches gilt für lernschwache Kinder, die Logopädie oder Physiotherapie verordnet bekommen haben: Auch hier dürfen Therapeuten nur Maßnahmen ihres Heilmittelbereichs abrechnen. Die rechtliche Grundlage hierfür steht in der oben verlinkten Heilmittelrichtlinie auf Seite 7: „Neben pädagogischen, heilpädagogischen oder sonderpädagogischen Maßnahmen dürfen Heilmittel nur bei entsprechender medizinischer Indikation außerhalb dieser Maßnahmen verordnet werden“.
Weitere häufige medizinische Indikationen bei Lerntherapiekindern sind Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Diese können nach entsprechender Verordnung ebenfalls zu Lasten der Krankenkasse ergotherapeutisch behandelt werden.
Wenn der Arzt keine Ergotherapie verordnet
Hat ein Lerntherapiekind Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit und der Konzentration und bekommt dennoch kein Rezept für Ergotherapie, sollte die Lerntherapeutin vor der eigentlichem Lerntherapie oder therapiebegleitend ein basales Training durchführen. Das kann z.B. das Marburger Konzentrationstraining von Krowatschek oder das „Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern“ von Lauth und Schlottke sein. Die dazu passende Fortbildung finden Sie beim IFLW: „Trainer/in bei ADS/ADHS“.
Der Kostenträger eines nicht ärztlich verordneten Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationstrainings ist nicht die Krankenkasse, sondern das Elternhaus und unter bestimmten Voraussetzungen das Jugendamt (§35a SGB VIII – Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche).
Wie wird Lerntherapie mit dem Jugendamt abgerechnet?
Kinder und Jugendliche mit Lernstörungen wie Lese- Rechtschreibstörung oder Rechenstörung können eine außerschulische Lerntherapie vom Jugendamt bezahlt bekommen, wenn bestimmte Bedingungen gegeben sind. So muss beispielsweise eine seelische Behinderung („sekundäre Neurotisierung“) drohen oder bereits vorliegen und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sein. Auch muss die Schule schriftlich bestätigen, dass die schulische Förderung nicht ausreicht. Dem von den Eltern zu stellenden Antrag auf Eingliederungshilfe ist zudem ein Gutachten mit ICD-Diagnostik zur Lernstörung und sich daraus ergebenen Gesundheitsbeeinträchtigungen beizufügen. Darin muss auch auf die Art und das Ausmaß der Beeinträchtigung der sozialen Integration eingegangen werden. Ein solches medizinisches Gutachten kann nur von Ärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Psychotherapeuten mit besonderen Erfahrungen auf dem Gebiet der seelischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen erstellt werden. Wird dem Antrag auf Eingliederungshilfe stattgegeben, erstellt die beauftragte Lerntherapeutin einen Förderplan und reicht diesen beim zuständigen Jugendamt ein. Die Therapiestunden stellt sie dem Jugendamt in Rechnung, welches das Honorar der Lerntherapeutin überweist.
Wunsch- und Wahlrecht
Mitunter gestaltet sich der erste Kontakt zum Jugendamt schwierig, weil manche Sachbearbeiter wenig Interesse an einer weiteren Lerntherapeutin haben, die Eltern zur Stellung eines Antrags bewegt und damit Kosten verursacht. Daher ist es in der Regel günstiger, wenn nicht die Lerntherapeutin an das Jugendamt herantritt, sondern die Eltern. Diese sollten gleich bei der Antragstellung erwähnen, dass bereits ein Kontakt zu einer Lerntherapeutin besteht und dass diese die Therapie durchführen soll. Dem sollte dann entsprochen werden, denn nach § 5 SGB VIII haben Leistungsberechtigte ein Wunsch- und Wahlrecht: „Die Leistungsberechtigten haben das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Der Wahl und den Wünschen soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist“. Das bedeutet, dass Eltern grundsätzlich frei entscheiden können, bei welcher Therapeutin bzw. bei welcher Einrichtung sie ihr Kind zur Lerntherapie anmelden. Wichtig ist dabei die Eignung der Maßnahme und des Maßnahmeerbringers. So entschied der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München in einem Beschluss vom 25.03.2009 (Az. 12 ZB 08.2077), dass das „Wunsch- und Wahlrecht dem Jugendhilfeträger nicht die Finanzierung einer Maßnahme abverlangt, die gemessen an der tatsächlich bestehenden Teilhabebeeinträchtigung nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung der zuständigen Fachkräfte nicht geeignet bzw. nicht notwendig ist.“ Ob ein/e Lerntherapeut/in fachlich geeignet ist, entscheiden die Mitarbeiter der Jugendämter auf Grundlage der nachgewiesenen formalen Qualifikationen und sicherlich auch anhand der Schlüssigkeit des eingereichten Förderplans. Fast immer wird eine pädagogische, psychologische oder therapeutische Grundqualifikation und eine lerntherapeutische Zusatzausbildung vorausgesetzt. Für die Aneignung und den Nachweis fundierter lerntherapeutischer Kenntnisse empfehlen wir unser Fernstudium „Integrative Lerntherapie in Theorie und Praxis“ und die Fachkundeprüfung „Integrative/r Lerntherapeut/in (IFLW)“.
Lerntherapie als Selbstzahlerleistung
Ähnlich wie Nachhilfe zahlen viele Eltern die Lerntherapie für ihr Kind aus eigener Tasche. Für die Eltern hat dies den Vorteil, dass sofort mit der Therapie begonnen werden kann und nicht erst der Bescheid auf den Antrag beim Jugendamt abgewartet werden muss. Mitunter ist bei einer angestrebten Finanzierung auf Grundlage des §35a SGB auch ein Widerspruchsverfahren erforderlich, welches den Beginn einer Lerntherapie weiter verzögern kann. Zudem scheuen manche Eltern eine Antragstellung beim Jugendamt, weil diese eine Offenlegung der familiären Situation und das Anlegen einer Akte einschließt. Wer es sich leisten kann, nimmt daher nicht selten Lerntherapie als Selbstzahlerleistung in Anspruch. In diesem Fall rechnet der Lerntherapeut bzw. die Lerntherapeutin die erbrachten diagnostischen und therapeutischen Leistungen mit den Eltern ab. Privatzahler sind vielen Lerntherapeuten lieber, weil für Kinder mit Anspruch auf Eingliederungshilfe mehr unbezahlte Zeit für das Verfassen von Förderplänen und Berichten sowie die Teilnahme an Runden Tischen eingeplant werden muss.
Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten müssen Lerntherapie wie alle anderen Leistungen für Selbstzahler nicht zwingend in einer Praxis erbringen, sondern können diese überall anbieten, z.B. in Schulen, Kindergärten, Fördereinrichtungen oder im häuslichen Umfeld. Dies ist ein weiterer Grund, über Lerntherapie als zweites Standbein nachzudenken.
Nachtrag vom 28. Juni 2016:
Die Rahmenempfehlungen für Heilmittelerbringer wurden vom GKV-Spitzenverband und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer auf Bundesebene aktualisiert. Die aktuellen Regelungen zu Fortbildungen finden Sie hier: