Legasthenie-Erlass Thüringen

Wichtiger Hinweis: Bitte wenden Sie sich mit Fragen zur Auslegung der Erlasse an die jeweilige Schulbehörde. Vielen Dank.

Fachliche Empfehlung zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten in den allgemein bildenden Schulen (außer Förderschule) in Thüringen vom 20. August 2008

Vorbemerkungen

Rechtsgrundlage für diese fachliche Empfehlung zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Lernschwierigkeiten an den allgemein bildenden Schulen (außer Förderschulen) in Thüringen bilden insbesondere die Thüringer Schulordnung für die Grundschule, die Regelschule, das Gymnasium und die Gesamtschule (Thüringer Schulordnung - ThürSchulO) und die Verwaltungsvorschrift zur Organisation des Schuljahres in den jeweils geltenden Fassungen.

Da es sich bei besonderen Lernschwierigkeiten nicht um sonderpädagogischen Förderbedarf handelt, ist ein formelles Feststellungsverfahren nicht erforderlich. Erforderlich ist jedoch die schulische Diagnose und, wenn zusätzliche Lehrerstunden beantragt werden, ein daraus folgender Förderplan. Ein Förderplan bringt die besondere Verantwortung des Lehrers zum Ausdruck, weist auf die Kooperation aller an der Förderung von Kindern und Jugendlichen Beteiligten hin.

Schulen stehen in der Verantwortung allen Kindern aktiv Hilfestellung zu leisten, bei denen besondere Lernschwierigkeiten auftreten. Dies gilt insbesondere, wenn diese für einen längeren Zeitraum bestehen. Förderung der Kinder und Jugendlichen stellt eine substantielle Aufgabe der Schule dar und ihre Umsetzung ist ein Gradmesser für Schulqualität.

Ausgangssituation

Die an Kinder nach der Einschulung gestellten schulische Lernanforderungen bewältigen diese auf der Basis ihrer bis dahin entfalteten Fertigkeiten und Fähigkeiten, ihrer sozialen und emotionalen Erfahrungen und ihrer individuellen Disposition unterschiedlich. In einzelnen Fällen treten Lernschwierigkeiten auf, die ohne besondere Fördermaßnahmen nicht bewältigt werden können. Diese besonderen Lernschwierigkeiten können sich in Problemen beim Sprechen, Lesen und Schreiben (Schriftspracherwerb), in Problemen beim Rechnen und in mathematischen Lernprozessen und in Problemen im Verhalten äußern. Erschwerend können bei einzelnen dieser Kinder zeitweise physische und psychische Probleme (Erkrankung, Entwicklungsstörung, familiäre Probleme usw.) oder sprachliche Probleme, z. B. bei Kindern nichtdeutscher Muttersprache, hinzukommen. Die Ursachen für die oben genannten besonderen Lernschwierigkeiten sind vielschichtig, individuell vielfältig und unterschiedlich ausgeprägt, denn sie sind Ausdruck der komplexen Lernbiographie und Lebenssituation jedes einzelnen Kindes. Bei einzelnen Kindern und Jugendlichen kann Förderung an Grenzen stoßen, so dass Schule Hilfe leisten muss, wie mit dieser besonderen Lernschwierigkeit auch nach Beendigung der Schulzeit erfolgreich umgegangen werden kann. Reichen die besonderen Fördermaßnahmen nicht mehr aus und wird sonderpädagogischer Förderbedarf durch ein sonderpädagogisches Gutachten festgestellt, gelten die Regelungen für den gemeinsamen Unterricht bzw. für den Besuch der Förderschule.

Präventive Möglichkeiten für Kinder mit besonderen Lernschwierigkeiten

Der bewusste Umgang mit Sprache im vorschulischen Bereich kann helfen, Startschwierigkeiten beim schulischen Schriftspracherwerbsprozess zu minimieren. Grundschulen sind deshalb aufgerufen, mit den Kindertageseinrichtungen auf der Grundlage des Thüringer Bildungsplanes bis 10 Jahre zu kooperieren. Eine zielgerichtete, systematisierte, kindorientierte Gestaltung des Schultages und ein sorgfältig durchgeführter Erstunterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, der vielfältige Sinneserfahrungen ermöglicht, der durch Methodenvielfalt und Individualität gekennzeichnet ist, der die einzelnen Stufen und Phasen der Lehrgänge gründlich sichert und basale Komponenten integriert, sind entscheidende Grundlagen, um in den Unterrichtsmethoden begründete Ursachen für das Verstärken besonderer Lernschwierigkeiten zu minimieren und den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, dem individuellen Lernverhalten und Lerntempo gerecht zu werden. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die Beobachtung und Beachtung des sprachlichen, kognitiven, emotional-sozialen und des motorischen Entwicklungsstands, der Lernmotivation und auch der Sinnestüchtigkeit des einzelnen Kindes. Dieses Beachten der Lernausgangslage ist in der gesamten Schuleingangsphase und in den Klassenstufen 5 und 6 von grundlegender Bedeutung.

Fördermaßnahmen bei besonderen Lernschwierigkeiten

Von Anfang an werden die Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes sorgfältig beobachtet. Treten bei Kindern in der Schuleingangsphase besondere Lernschwierigkeiten auf, wird diesen zunächst durch verstärkte Differenzierung und Individualisierung des Lernprozesses im Klassenverband begegnet. Für diese Fördermaßnahmen kann es zweckmäßig sein, im Rahmen der zur Verfügung stehenden Stunden eine weitere Lehrkraft unterstützend einzusetzen. Bei massiven besonderen Lernschwierigkeiten sollen auch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste einbezogen werden. Für Kinder, deren besondere Lernschwierigkeiten durch diese Maßnahmen am Ende der Schuleingangsphase noch nicht behoben sind, ist abzuklären, inwieweit ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht und inwieweit dieser im gemeinsamen Unterricht abgedeckt werden kann oder sogar einen zumindest vorübergehenden Wechsel des Lernorts notwendig werden lässt. Besteht kein sonderpädagogischer Förderbedarf und werden zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Förderung benötigt, wird durch den Klassenleiter unter Beteiligung der Lehrer des jeweiligen Kindes sowie des Beratungslehrers in Abstimmung mit den Sorgeberechtigten ein verbindlicher Förderplan erstellt. Gegebenenfalls sind dabei auch Jugendhilfemaßnahmen zwischen der Schule und dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe abzustimmen. Für die Umsetzung des Förderplans können ab der Klassenstufe 3 neben die Maßnahmen der inneren Differenzierung zusätzliche Pflichtstunden treten. Sie werden von besonders befähigten Lehrern erteilt. Damit dieser zusätzliche Förderunterricht wirksam werden kann, ist eine enge Verbindung mit dem Unterricht in allen Fächern herzustellen.

Für Kinder mit besonderen Lernschwierigkeiten sind auch spezifische Unterstützungsprogramme wie Intervallförderung und Intensivkurse möglich. Die Entscheidung über eine Teilnahme ist durch den Schulleiter zu treffen und mit den Sorgeberechtigten zu besprechen. Für Kinder und Jugendliche, deren besondere Lernschwierigkeiten erst nach dem Besuch der Grundschule deutlicher erkennbar sind, werden in der aufnehmenden Schule geeignete Fördermaßnahmen eingerichtet. Die Maßnahmen zusätzlicher Förderung sollen bis zum Ende der Klassenstufe 10 abgeschlossen sein.

Alle Fördermaßnahmen haben zum Ziel, die Stärken der Kinder und Jugendlichen bewusst zu machen, diese auch kompensierend einzusetzen, Erfolgserlebnisse zu ermöglichen, die Lernmotivation zu fördern, Lernstrategien und Arbeitstechniken zu vermitteln sowie Verhaltensweisen einzuüben, um mit den vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten gestellte Anforderungen besser bewältigen zu können.

Der Förderplan

Ausgehend von den Stärken der Kinder und Jugendlichen legt der Förderplan die Gestaltung der gesamten Förderung fest. Der Förderplan entsteht auf der Basis der Beobachtungen und einer pädagogischen Diagnostik aller am Unterricht des jeweiligen Kindes und Jugendlichen beteiligten Lehrer. Er bezieht die bei den Sorgeberechtigten liegenden Informationen und die Erfahrungen des Betroffenen gezielt mit ein. Der Förderplan wird mit Kindern, Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten besprochen. Für die Erstellung des Förderplans ist der Klassenlehrer verantwortlich. Den Fachlehrern für Deutsch, Fremdsprachen und gegebenenfalls Mathematik kommt eine besondere Aufgabe zu. Die Fördermaßnahmen werden in der Klassenkonferenz vorgestellt. Dabei werden verbindliche Vereinbarungen zur Umsetzung in allen Fächern abgesprochen. Der Förderplan wird jährlich fortgeschrieben. Die Fördermaßnahmen sind prozessbegleitend zu überprüfen und anzupassen.

Leistungserhebung und Zeugnisse

Auf die bestehenden besonderen Lernschwierigkeiten und die damit verbundenen Leistungsschwächen ist im Unterricht Rücksicht zu nehmen. Die Leistungserhebung und -feststellung in Bereichen, in denen an besonderen Fördermaßnahmen teilgenommen wird, erfolgt in vielfältigen Formen. Sie bezieht die individuellen Lernfortschritte mit ein und beachtet die Lehrplanvorgaben. Insbesondere bei lang anhaltenden besonderen Lernschwierigkeiten kann eine Aussetzung der Noten gemäß § 59 Abs. 5 ThürSchulO angebracht sein. Ist trotz gezielter Förderung eine aufgabenbezogene Leistungsbewertung in Form von Noten pädagogisch nicht angezeigt, weil sie die Entwicklung von Leistungsfortschritten behindert, kann nach Genehmigung durch das Staatliche Schulamt zeitweilig auf eine Bewertung durch Noten verzichtet werden. In diesem Fall ist der Lernfortschritt verbal zu beschreiben. Dabei müssen jedoch auch diese Kinder und Jugendlichen in angemessenen Zeitabständen entsprechend der Art des Faches Leistungsnachweise erbringen. Art, Zahl, Umfang, Schwierigkeitsgrad und Gewichtung der Leistungsnachweise müssen sich nach den Erfordernissen der jeweiligen Schulart, Klassenstufe und Kursart richten. Wird auf die Bewertung durch Noten aus pädagogischen Gründen zeitweilig verzichtet, hat dies auch für das Zeugnis entsprechende Auswirkung, in Abschluss- und Abgangszeugnissen ist jedoch in jedem Fall eine Note zu erteilen.

Zusammenarbeit mit den Sorgeberechtigten

Die Sorgeberechtigten der Kinder und Jugendlichen mit besonderen Lernschwierigkeiten sollen zu Erscheinungsformen der Schwierigkeiten und den Möglichkeiten sie zu überwinden, informiert werden. Sie erhalten Hinweise auf die jeweils eingesetzten Methoden, die besonderen Lehr- und Lernmittel, auf häusliche Unterstützungsmöglichkeiten, geeignete Fördermaterialien, Motivationshilfen und Leistungsanforderungen. Sie sind beim Erstellen des Förderplans wichtige Partner, bringen ihre Erfahrungen ein und gestalten ihn mit. Der Förderplan wird den Sorgeberechtigten ausgehändigt. Mit Einverständnis der Eltern kann der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe in die Planung von schulischen Fördermaßnahmen einbezogen werden.

Erfurt, 20. August 2008

Kjell Eberhardt

Staatssekretär

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